Sailing-Adventure
Carpe Diem.


Artikel der Siegener Zeitung

Donnerstag, 8. Januar 2004


Karibik-Flair mit fliegenden Fischen

Crew der "Carpe Diem" erreichte sicher Zielhafen / ARC war Auftakt zur Weltumseglung

  

Auch bei schlechtem Wetter muss ein Crewmitglied in die Segel steigen, um eventuelle Schäden auszubessern

Geschafft: Die Crew der "Carpe Diem" hat den Weg über den Atlantik bewältigt. Jetzt sind die sieben Männer sicher in den Hafen der Rodney Bay auf St. Lucia eingelaufen.

   kano Siegen. Die intensive Sonne bringt eine Vorahnung der Karibik. Bei 24,5° Celsius Wassertemperatur ist das Duschen an Deck mit dem Eimer Meerwasser eine Wonne. Die Vorräte gehen zwar langsam zur Neige, aber die Improvisation zaubert allabendlich neue Gerichte auf die Teller. Jetzt fiebern sie der Ankunft in Rodney Bay auf St. Lucia entgegen. Aber ein wenig Wehmut wird wohl dabei sein, wenn die Crew der "Carpe Diem" das Schiff verlässt.

Mit dem lauten Kanonenschuss einer Kriegsfregatte war sie im November los gegangen: die »Atlantic Raily for Cruisers» (ARC). Der Siegener Dirk Müller, 42-jähriger Skipper der "Carpe Diem", hatte gemeinsam mit seiner sechsköpfigen Crew, seinen 15 Meter langen Fahrtensegler bereits einige Wochen vor dem Start auf die Atlantiküberquerung vorbereitet (die SZ berichtete). Rund 250 Schiffe aller Nationen hatten sich in der Marina von Las Palmas auf Gran Canaria eingefunden, um Takelagen zu überprüfen, Schiffsrümpfe zu reinigen, Segel zu überprüfen und an der Bar allabendlich Anekdoten auszutauschen.

»Land, Land!" schreit nun die Deckwache, und tatsächlich sind 20 Seemeilen entfernt schon die roten Lichter eines Radiomastes von St. Lucia zu sehen. Das Regattafieber hat die Crew der "Carpe Diem" wieder gepackt. Eine fremde Jacht kommt schnell von hinten auf. Es ist 10 Uhr vormittags, und noch hat die "Carpe Diem" die "Nachtbeseglung" gesetzt. Die Männer setzen die Großsegel, versuchen "Schmetterling" zu segeln und rauschen endlich mit akzeptabler Geschwindigkeit durch die aufgewühlte Atlantikwelle. Sie verkaufen sich teuer!

Die "Carpe Diem" muss immer "höher an den Wind", um das nördliche Cap von St. Lucia zu umrunden und Kurs auf die Ziellinie zu nehmen, die in der trichterförmigen Rodney Bay liegt. Die sieben Segler können das Zielschiff schon sehen. Die Jacht, die sie überholt hat, kämpft sich kreuzend zur Ziellinie hoch. Diese zu erreichen, entpuppt sich als ein äußerst schwieriges Unterfangen: Sie will partout nicht näher rücken, denn die Mannschaft der "Carpe Diem" muss gegen den Wind aufkreuzen. Nach unzähligen Wendemanövern — mit einem Kutterstagsegel kurz hinter dem Vorstag ist die "Carpe Diem" nicht für die Wendeduelle in der immer schmaler werdenden Bucht geeignet — hat das Zielschiff Erbarmen. Es drückt auf die Signalhupe. Dreimal tutet es, und die "Carpe Diem" läuft als 160. von 250 Segelschiffen in den Lagunenhafen von St. Lucia ein.
Eine beachtliche Position, da unter den Teilnehmern viele Renn-Yachten waren. Ein Fotografenboot umkreist die "Carpe Diem", während sich die Männer beglück- wünschen.

 Am Steg empfängt sie der Applaus der Nachbarschiffe, und der Reggae dröhnt mit an die "Love-Parade" erinnernder Lautstärke. Als ihnen eine ARC-Delegation die Leinen abnimmt und einem Tablett voller Rum-Punch, frischen Früchten und einer Flasche Rum begrüßt, sind sie "perplex" über soviel herzlichen Empfang. Als die Männer zum ersten Mal den Fuß an Land setzen, wissen sie nicht, ob es der Rum-Punsch oder der ungewohnt feste Boden ist, der sie sie schwanken lässt. Aber: Sie sind am Ziel! Und dies als eines der wenigen Segelschiffe, das keine größeren Schäden hat.

Allerdings hatten auch die sieben Segler der "Carpe Diem" - Skipper Dirk Müller, Co-Skipper Ekkehardt Herbst, Crew Mitglied Michael Baumann, Thilo Winter, Philipp Petersson Lothar Barkei und Heimar Pischel - mit der Unberechenbarkeit der See zu kämpfen. Bereits in einer der ersten Nächte passierte das Schlimmste: Eine gefürchtete Sturmböe, eine so genannte Sqall, erfasst den Fahrtensegler. Vom Masttop bricht die Verankerung eines der Segel. Ein Crewmitglied muss bei schwerer See hinaufgezogen werden und kann die Befestigung notdürftig reparieren. Dann liegt die "Carpe Diem" wieder auf Kurs.

Nach anfänglichen Kämpfen der Männer gegen die Seekrankheit übernimmt eine gewisse Routine das Tagesgeschehen. Der Name des Schiffes ist Programm: "Carpe Diem", "Nutze den Tag" -die Crew nutzt die Zeit, um sich an Wellen und Wetter anzupassen. Viel Platz bietet sich nicht für die sieben Segler, aber sie arrangieren sich. Wachdienste werden eingeteilt, das Kochen übernimmt täglich ein anderer.

Das Segelfieber hat sie alle gepackt. Ein unbeschreibliches Faszination sind die Weiten, das Blau und die Nähe zum Himmel. Delphine begleiten die "Carpe Diem" westwärts. Fliegende Fische bieten einen lustigen Anblick und landen hin und wieder sogar an Deck. Und so manch ein Sonnenuntergang verschlägt allen schier die Sprache. Für die sieben Segler geht ein Traum in Erfüllung: Wenn sie in St. Lucia anlegen, können sie sich als "Atlantikbezwinger" rühmen.

Für Skipper Dirk Müller war die ARC allerdings nur der Anfang. Die Segelregatta war die erste Etappe zur großen Weltumseglung, die er von St. Lucia aus mit seiner Ehefrau Heike und den beiden Töchter Naomi (9) und Tamina (6) fortsetzen wird. Zur Zeit befinden sie sich bereits auf Martinique. Nächstes Ziel ist Mitte Februar der Karneval in Trinidad und anschließend die "Antigua sailing week" Mitte April. In der Zwischenzeit werden die Vier schnorchelnd und tauchend die Tobago Bay und deren Umgebung erkunden. Und im Siegerland regnet es...

Bevor die Crew der "Carpe Diem" Land betreten kann, müssen noch einige Seemeilen zurückgelegt werden.

   

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